29.4.2025 18:00 Uhr

(Wieder)Aufbau historischer Hypotheken

Malbork und Vilnius

  • Klaus Zernack Colloquium, Auf Deutsch
  • Majakowskiring 47, 13156
  • Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften, Deutsch-Polnisches Haus

Der Wiederaufbau historischer Monumente ist stets mehr als eine bauliche Rekonstruktion – er spiegelt auch gesellschaftliche und politische Deutungen der Vergangenheit wider. Während die Marienburg vom Symbol des Deutschordensstaates zur polnischen Nationalikone wurde, steht die Untere Burg in Vilnius für ein eigenständiges litauisches Geschichtsverständnis. Tomasz
Torbus vergleicht in seinem Vortrag die beiden Wiederaufbauprojekte.

Die Marienburg hat die vielleicht längste Geschichte des Wiederaufbaus auf dem europäischen Kontinent. Sie begann 1817 in romantischem Gewand, wurde dann bereits von Conrad Steinbrecht und Bernhardt Schmid wissenschaftlich geleitet und setzte erneut – nachdem die Burganlage im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstört wurde – 1961 ein. Sie endete 2018 mit dem Wiederaufbau der Burgkirche mit der außenstehenden Marienfigur. Während der preußische Wiederaufbau in einer Vielzahl von wissenschaftlichen Texten behandelt wurde, ist der Nachkriegswiederaufbau erst in jüngerer Zeit Gegenstand von Forschung und wissenschaftlicher Reflexion geworden. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, inwieweit Lösungen des Vorkriegsumbaus schlicht wiederholt und inwieweit von ihnen abgewichen wurde, um beispielsweise die neugotische Staffage verschwinden zu lassen und die ursprünglichen Elemente aus der Deutschordenszeit hervorzuheben. Gab es eine bewusste oder unbewusste „Polonisierung“ der Marienburg, z. B. durch die Betonung der 300-jährigen Zugehörigkeit zum polnisch-litauischen respublika? Und schließlich: Wie wurde ein Gebäude, das wie kaum ein anderes den antipolnisch-wilhelminischen oder nationalsozialistischen Nationalismus verkörperte, zu einer der wichtigsten Touristenattraktionen Polens umkodiert?

Die Frage nach der strikten Rekonstruktion nach Baubefund ist auch bei der Residenz der Großherzöge in Vilnius, der sogenannten Unteren Burg, präsent. Sie wurde in den Jahren 1799-1803 abgerissen und ist nur aus recht spärlich überlieferten Bildquellen bekannt. In den Jahren 2002-2009 wurde die Residenz wieder aufgebaut. Die Vorbilder für die Rekonstruktion, sind neben den Zeichnungen von Franciszek Smuglewicz analoge Renaissance- und Barockbauten Polens und Litauens – das Schloss auf dem Wawel und in Niepołomice, das Wilnaer Alumnat oder das Radziwiłł-Palais. Die Frage, die sich – auch vor dem Vergleichsbeispiel Marienburg – stellt, ist, ob dieses sogenannte Museum des Palastes der Großherzöge des Großfürstentums Litauen eine Neudefinition seiner semantischen Bedeutung erfahren hat und zu einem Paradebeispiel eines national-litauischen Geschichtsverständnisses geworden ist, das sich stellenweise vom Ethos des multinationalen polnisch-litauischen Commonwealth unterscheidet.

Prof. Dr. Tomasz Torbus ist Experte für Kunstgeschichte, spezialisiert auf mittelalterliche Architektur, Residenzen der Jagiellonen und öffentliche Architektur des barocken Manierismus. Er studierte in Warschau und setzte seine Ausbildung in Deutschland fort, wo er promovierte und sich habilitierte. Er ist Autor zahlreicher populärer und wissenschaftlicher Publikationen. In seinem 2019 erschienenen Werk „Rekonstruktionen, Dekonstruktionen, (Über-)Interpretationen“ beschäftigt er sich unter anderem mit der Marienburg und der Unteren Burg in Vilnius. Seit 2010 ist er außerordentlicher Professor und von 2012 bis 2016 war er Institutsdirektor am kunstgeschichtlichen Institut der Universität Danzig.

Klaus Zernack Colloquium 2025

Aus Ruinen – Krieg, (Wieder)Aufbau und Transformation


Das Klaus Zernack Colloquium des Zentrum für Historische Forschung Berlin der Polnischen Akademie der Wissenschaften findet in diesem Jahr als Kooperationsveranstaltung mit dem Deutsch-Polnischen Haus statt.

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