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Haus ohne Ort

Der Ort steht noch nicht fest. Der Auftrag schon.

Das Deutsch-Polnische Haus soll im Herzen Berlins entstehen und wird mit einem Denkmal an die Opfer der deutschen Besatzung Polens 1939 – 1945 erinnern, mit einer historischen Ausstellung über die deutsch-polnische Geschichte mit Schwerpunkt auf dem Zweiten Weltkrieg informieren und mit einem reichen Bildungsprogramm Begegnungen ermöglichen. Der Dreiklang Gedenken – Begegnen - Verstehen ist Programm.

Am 1. September 1939 überfiel Deutschland Polen: Der Zweite Weltkrieg begann. 2024 jährt sich das Ereignis zum 85. Mal. Die deutsche Besatzung Polens kostete über fünf Millionen polnischer Staatsbürgerinnen und Staatsbürger das Leben, der weitaus größte Teil waren zivile Opfer. Viele mehr wurden für ihr Leben gezeichnet, in Konzentrationslager oder als Zwangsarbeiter verschleppt, polnische Kinder zur Germanisierung entführt, Städte und Kulturgüter ausgelöscht. Die polnische Nation sollte zerschlagen, die Einwohner als Arbeitssklaven ausgebeutet werden. Den Holocaust vollzogen die deutschen Besatzer zum großen Teil im besetzten Polen: Die Hälfte der sechs Millionen ermordeten Juden Europas war vor dem Krieg polnische Staatsangehörige. Über 95 Prozent aller Juden, die vor dem Krieg in Polen gewohnt hatten, wurden während des Zweiten Weltkriegs getötet. In den von den Deutschen im besetzten Polen errichteten Vernichtungslagern wurden auch Juden aus ganz Europa ermordet. Die Traumata des deutschen Vernichtungskrieges zeichnen das Land bis in die Gegenwart.

Die deutsche Besatzung Polens 1939-1945 und das von Deutschen verübte Leid sind noch immer wirkmächtig. Sie stehen im Zentrum der Erinnerungsarbeit.

Fast jede Familie in Polen hat im Zweiten Weltkrieg jemanden verloren. Unzählige Denkmäler erinnern landesweit an die Ermordeten. Nur wenig davon ist im kulturellen Gedächtnis in Deutschland verankert.  Empathie für die Opfer ist nur möglich, wen man weiß, welche Kultur von den Deutschen zerstört wurde und wer die Menschen waren, die in ihr lebten und sie gestalteten. Das Deutsch-Polnische Haus eröffnet Räume, diese Menschen als handelnde Subjekte kennenzulernen. Der polnische Staat war vor dem Zweiten Weltkrieg ein multiethnischer, multikultureller und multireligiöser Staat – hier lebten Frauen und Männer, die sich als Polen oder Ukrainer, Juden, Deutsche, Litauer oder Belarussen, als Schlesier, Lemken oder Kaschuben oder auch als Internationalisten und Weltbürger empfanden. Die Jahrhunderte währende Vielfalt wurde während der deutschen Besatzung zerstört und ältere Konflikte neu entfacht. 

Die deutsch-polnischen Beziehungen sind zentral für die Gegenwart und Zukunft Europas. Wir verstehen sie nur durch unsere gemeinsame Geschichte.

Polen – das ist nicht nur die Geschichte der »Anderen«, sondern unser gemeinsamer, deutsch-polnischer und darüber hinaus europäischer Auftrag. Wieviel Polen steckt in Deutschland und wieviel Deutschland in Polen? Uns verbindet eine Jahrhunderte währende Nachbarschaft und Verflechtungsgeschichte, die beide Gesellschaften bis heute prägt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts waren etwa 10 Prozent der Einwohner Preußens Polen. Der sogenannte Völkerfrühling war eine europäische und im besonderen Maße eine deutsch-polnische Geschichte. Die Polenbegeisterung der 1830er Jahre führte zu dem bis dahin dichtetesten Vereinsnetz, das es in den deutschen Ländern je gegeben hatte – die Vergemeinschaftung der in Fürstentümer zersplitterten Deutschen erfolgte auch dank der Polen. Die Revolution von 1848 begann am 18. März damit, dass deutsche Aufständische polnische Inhaftierte aus dem Gefängnis in Berlin-Moabit befreiten, die sich bereits zuvor gegen die preußische Herrschaft aufgelehnt hatten. Die polnische »Frage« beschäftigte Abgeordnete in der Frankfurter Paulskirche – und spaltete sie. 

Deutschland ist nicht erst seit den 1960er Jahren ein Migrationsland und auch daran hat unser Nachbar seinen Anteil: Polen, Masuren, Oberschlesier wanderten aus dem östlichen Teil des Deutschen Reiches nach Westen – ins Ruhrgebiet oder in die großen Industriestädte wie Hamburg und Berlin, schufen polnische Vereine und gestalteten ihre Umgebung mit. Dies prägt lokale und regionale Identitäten bis heute – in Wanne-Eickel ebenso wie in Bitterfeld oder Berlin. Die historischen Spuren Polens finden sich vielerorts in der deutschen Hauptstadt – nicht zuletzt an dem Ort, wo heute der Bundestag tagt. Denn hier stand vor dem Bau des Reichstags das Raczyński-Palais. Die ehemalige Reichskanzlei in der Wilhelmstraße hatte ursprünglich der Familie Radziwiłł gehört. Als die Solidarność-Bewegung in den 1980er Jahre gegen das kommunistische Regime kämpfte, gelang es ihr letztlich, den »Ostblock« so sehr ins Wanken zu bringen, dass auch die Berliner Mauer fiel. Trotz all dieser historischen Verbindungen wird in Schulbüchern und in der Öffentlichkeit deutsche Geschichte vorwiegend in Bezug zum Nachbarland Frankreich erzählt. Die Rolle Polens und Ostmitteleuropas bleibt nach wie vor weitgehend ein blinder Fleck.

anfuehrungszeichen

Deutschland steht bereit die zivilgesellschaftliche und grenzüberschreitende Zusammenarbeit weiter auszugestalten und mit dem Deutsch-Polnischen Haus ein erinnerungspolitisches Zeichen zu setzen.

Bundeskanzler Olaf Scholz, Regierungserklärung vom 13. Dezember 2023

Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine führte zu einer proklamierten Zeitenwende in der deutschen Politik. Zuvor hatte die enge Beziehung zu Moskau den Blick auf die Länder Ostmitteleuropas verstellt, deren Stimme allzu oft ignoriert wurde. Dies hatte aber eine lange Tradition. Preußen, das Russische Reich und Österreich teilten die polnisch-litauische Adelsrepublik Ende des 18. Jahrhunderts unter sich auf – ein Präzedenzfall und eine tektonische Verschiebung der Mächtekonstellationen in Europa. Preußen stieg erst auf Kosten Polen-Litauens zu einem mächtigen politischen Akteur auf und festigte damals die besondere Beziehung zu Russland, die sich als eine Konstellation von langer Dauer erwies: Preußens Herrschaft über einen Teil Polens war zudem von einem kolonialen Habitus geprägt, gepaart mit einer Überzeugung eines kulturellen und sozialen Gefälles. Friedrich II. beschrieb 1735 polnische Adelige als »hässliche Affen und Affenweibchen« und meinte, »den armen Irokesen die europäische Zivilisation bringen«  zu müssen. Diese Überheblichkeit, angereichert durch nationalsozialistische und antisemitische Propaganda, prägte auch die 1,5 Millionen Wehrmachtsoldaten, die am 1. September 1939 nach Polen zogen.

Trotz der Gewalterfahrung war nach dem Zweiten Weltkrieg eine Verständigung möglich. Es waren die polnischen Bischöfe, die sich bereits 1965 mit den Worten »Wir vergeben und bitten um Vergebung« an (bundes-)deutsche Würdenträger wandten, ganz im Geiste eines vereinten Europas gemeinsamer Werte. 

Das DPH schafft Verständigung durch Gedenken, historische Aufklärung und Begegnung. 

Dass im heutigen Deutschland mit unserem Nachbarn allzu oft polnische Putzfrauen oder Bauarbeiter assoziiert werden, aber selten polnische Denker oder Nobelpreisträger wie etwa Czesław Miłosz oder Jerzy Giedroyc, die visionäre Ideen für ein gemeinsames Europa entwickelten, ist kein Zufall. Bei jeder politischen Auseinandersetzung sind die altbewehrten Stereotype schnell zur Hand – bedauerlicherweise auf beiden Seiten von Oder und Neiße. Aufzuzeigen, woher sie kommen, sie aufzubrechen und eine neue Perspektive auf den Nachbarn zu ermöglichen, wird die deutsch-polnischen Beziehungen auf eine neue Grundlage stellen und helfen, eine starke europäische Gemeinschaft weiterzuentwickeln. Hierzu will und wird das Deutsch-Polnische Haus seinen Beitrag leisten.