Über das Projekt
Im April dieses Jahres wird im Deutsch-Polnischen Haus ein experimentelles Programm mit dem Titel Estreicher-Gespräche / Spotkania Estreicherowskie begonnen. Es widmet sich dem Schicksal von Kunst- und Kulturgütern in der NS-Zeit, während des Zweiten Weltkrieges und – in deren Folge – in den achtzig Jahren nach dem Krieg. Die Estreicher-Gespräche werden von erfahrenen deutschen und polnischen Provenienzforschern durchgeführt und richten sich zunächst an Fachleute aus beiden Ländern. Später werden sie auch der breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht.
Der Name des Projekts bezieht sich auf den polnischen Kunsthistoriker Karol Estreicher (1906–1984). Er war Initiator und Leiter des 1940 in London gegründeten Büros der polnischen Exilregierung für die Revindikation kultureller Verluste, Mitbegründer des alliierten Programms Monuments, Fine Arts and Archives (MFAA). Estreicher holte 1946 den Marienaltar von Veit Stoss (aus Nürnberg) und die Dame mit Hermelin von Leonardo da Vinci (aus dem Central Collecting Point in München), die in Krakau beschlagnahmt und ins Dritte Reich gebracht worden waren, nach Polen zurück.
Bericht zum ersten Treffen (April 2025)
Im Rahmen des experimentellen Projekts Estreicher Gespräche fand im April dieses Jahres das erste Seminar polnischer und deutscher Fachleute auf dem Gebiet der Erforschung des Schicksals von Kulturgütern statt. Es widmete sich der Bedeutung der Provenienzforschung, ihrer dynamischen Entwicklung in Deutschland und der Notwendigkeit einer direkten Zusammenarbeit in diesem Bereich zwischen Mitarbeitern/innen der Museen, Bibliotheken und Archiven beider Nachbarländer.
Gastgeber des Treffens waren Nawojka Cieślińska-Lobkowicz, Kunsthistorikerin und unabhängige Forscherin der Wege von Kulturgütern, die während der deutschen Besatzung polnischen und jüdischen Eigentümern geraubt wurden, sowie Dr. Dariusz Kacprzak, Museumskurator, langjähriger Wissenschaftsdirektor des Nationalmuseums Stettin und Autor zahlreicher Publikationen über die verstreuten Sammlungen von Eigentümern aus Łódź und Stettin.
An der Diskussion nahmen zwei renommierte deutsche Experten teil: Prof. Dr. Christian Fuhrmeister (Zentralinstitut für Kunstgeschichte, München) und Dr. Meike Hoffmann (Institut für Kunstgeschichte, Freie Universität, Berlin). Prof. Fuhrmeister leitet ein Team, das sich mit der umfassenden Dokumentation der nationalsozialistischen Raubkunst, der Nachkriegsrestitutionen und der wissenschaftlichen Provenienzforschung befasst. Er entwickelt auch die internationale Zusammenarbeit und hält Universitätsvorlesungen und Seminare. Dr. Hoffmann leitet eine Abteilung, die sich mit der sog. „Entarteten Kunst“ befasst und Forschungsprojekte zur Rekonstruktion und Identifizierung von Sammlungen deutscher jüdischer Sammler durchführt, die infolge der nationalsozialistischen Verfolgung verstreut wurden.
Neben einer kurzen Vorstellung des Schirmherrn der Estreicher Gespräche, Karol Estreicher (1906–1984) –Leiter des 1940 gegründeten Büros für die Rückforderung von Kulturgütern der polnischen Exilregierung in London, Mitbegründer des alliierten Programms Monuments, Fine Arts and Archives (MFA&A) – wurden zwei Fallstudien vorgestellt.
Das Schicksal des Gemäldes Palasttreppe von Francesco Guardi, das während der Besatzungszeit aus dem Nationalmuseum in Warschau geraubt und aus Deutschland zurückgegeben wurde, schilderte der Entdecker seiner Herkunft, Dr. Uwe Hartmann aus Berlin, einer der erfahrensten deutschen Provenienzforscher und Leiter der Fachabteilung Kulturgutverluste im 20. Jahrhundert in Europa beim Deutschen Zentrum Kulturgutverlust in Magdeburg. Über den Breslauer Sammler Max Silberberg (1878–1942) und mehrere Werke aus seiner Sammlung, die im letzten Vierteljahrhundert in deutschen Museen identifiziert und restituiert wurden, sprach Dr. Magdalena Palica aus Wrocław, Autorin einer Monografie über jüdische Sammler in Breslau, derzeit Leiterin der Wissenschaftlichen Bibliothek der Stadt Trier.
Das zweite Estreicher-Gespräch, das für Juni dieses Jahres geplant ist, wird sich mit dem Raub von Kulturgütern im Dritten Reich und im besetzten Europa befassen (ihren Mechanismen, Opfern und ihrem Ausmaß) in einem Vergleich zur Situation im besetzten Polen.