20.9.2024 17:00 Uhr

Verseuchte Landschaften. Was von deutschen Verbrechen in der polnischen Landschaft übrig blieb

Gespräche mit Aktivistinnen und Künstlern aus Polen

  • Polnischer September
  • Tiny House auf dem Washingtonplatz vor dem Hauptbahnhof, 10557 Berlin
  • Deutsch-Polnisches Haus
Eine Szene im Freien, auf dem Waldboden, der mit trockenen Blättern und Zweigen bedeckt ist. Auf dem Boden sind mehrere zerfallene Teile von Schuhen zu sehen, die teilweise unter den Blättern und Zweigen verborgen sind. Die Schuhreste wirken alt und verfallen. Ein Teil eines Baumstamms oder einer großen Wurzel ist ebenfalls sichtbar. Die Umgebung ist von verwittertem Laub und Erde umgeben, was darauf hindeutet, dass diese Gegenstände schon länger dort liegen.

Schuhe aus der Umgebung des ehemaligen Konzentrationslagers Stutthof © Foto: Grzegorz Kwiatkowski

Ein sichtbares und unsichtbares Netz an Orten von Verbrechen der deutschen Besatzer durchzieht Polen bis heute. Einige sind zu Gedenkstätten geworden, andere, aber bei weitem nicht alle, sind markiert, wieder andere fallen dem Vergessen anheim. Sie alle sind zum Alltag all jener geworden, die heute dort leben, arbeiten, ihre Freizeit verbringen – eine schmerzende, deutsche Hinterlassenschaft.

Polen war das Land in Europa, was am längsten von Nazi-Deutschland besetzt war – von 1939 bis 1945. Die weitaus größte Zahl unter den über 5 Millionen Todesopfern unter den polnischen Staatsbürgerinnen und -bürgern forderte die Besatzung und nicht die Kriegshandlungen. Zudem führten die deutschen Besatzer unter anderem in Polen den Holocaust mit äußerster Brutalität durch. Mit der Ermordung von 3 Millionen polnischen Jüdinnen und Juden löschten sie die größte jüdische Community weltweit aus. Im besetzten Polen bauten sie Vernichtung- und Konzentrationslager, in die Jüdinnen und Juden aus ganz Europa verschleppt und ermordet wurden, wie Auschwitz-Birkenau. Die Überreste der Lager der so genannten Aktion Reinhardt, der rund 1,8 Millionen Jüdinnen und Juden zum Opfer fielen, Belzec, Sobibor und Treblinka liegen im heutigen Polen. Die Spuren der Ghettos, der Massenerschießungen, der zahlreichen Zwangsarbeitslager sind in die Landschaft eingeschrieben.

Aber was passierte mit diesen Spuren der Vernichtung nachdem die deutschen Besatzer abgezogen waren? Die einheimische Bevölkerung blieb mit den in die Landstriche und Städtetopographien eingeschriebenen Orte deutscher Verbrechen zurück und muss damit – immer wieder auf Neue – einen eigenen Umgang finden. Viele Künstler wie etwa der Maler Wilhelm Sasnal setzen sich mit der in Polen alltäglichen Präsenz von Orten der Massenverbrechen des Holocaust auseinander. 

Drei Aktivist:innen und Wissenschaftler:innen aus Polen erzählen über ihre Art, wie sie mit dem Erbe von Massengewalt umgehen und über die Reaktionen von Polen heute. 

Aleksandra Gluba ist Literaturwissenschaftlerin und Jiddischistin aus Poznań und setzt sich für den Erhalt der alten Synagoge, die während deutscher Besatzung zu einem Schwimmbad umfunktioniert und nach dem Krieg als solches genutzt wurde und für die Erinnerung an die zahlreichen Zwangsarbeitslager für Juden in der Stadt ein.

Aleksandra Janus ist Anthropologin und Kuratorin. Neben ihren vielen Aktivitäten im Museumsbereich, engagiert sich in der Stiftung „Vergessenes“. Diese setzt sich zum Ziel, Massengräber der von deutschen Besatzern ermordeten Jüdinnen und Juden im heutigen Polen zu markieren. https://zapomniane.org/en/about/ 

Piotr Forecki ist Professor für Politikwissenschaften an der Adam-Mickiewicz Universität in Poznań und Holocausthistoriker. In seiner Stadt ist er aktiv beteiligt, an Spuren des Holocaust zu erinnern, aber auch Debatten über den Platz des Holocaustgedenkens in der polnischen Erinnerungskultur und den Antisemitismus in Polen anzustoßen.